Der 27. Januar 2006 war ein besonderer Tag in der Geschichte der St. Anna – Kirche in Krakau. In der Chronik der Kirche steht unter diesem Datum, dass an dem westlichen Turm der Kirche (von der Seite der Grünanlagen) die Glocke ertönte begleitet von dem Carillon – einem Glockenspiel, das kirchliche Lieder spielt und die Zeit in stündlichen Intervallen misst.
In ihrer langlebigen Geschichte verkündeten die Glocken immer wichtige Ereignisse, organisierten das Leben der Städte, Klöster und Dorfgemeinschaften, riefen zum Gebet auf, regulierten den Arbeitstag, materialisierten die Zeit und waren Determinante ihres Vergehens. Viele von diesen Funktionen sind bis heute noch geblieben, und die Glocke von dem Turm der St. Anna – Kirche nahm sie nach dem vierzigjährigen Schweigen erneut auf.
Ihr erhabener und klangvoller Ton ermuntert das Zuhören und belebt das Universitätsviertel. Die Glocke wiegt 1200 kg, der Durchschnitt ihres Kranzes beträgt 132 cm, die Höhe 113 cm. Ihre Datierung weist darauf hin, dass sie aus der früheren, gotischen St. Anna – Kirche kommt. Am Rande ist die Aufschrift zu sehen: DEO OPTIMO MAXI/MO AC DIVO JOACHIMO DIVEQUE ANNAE DICATUN OPUS ANNO 1538 (Gott, dem Besten, Höchsten und dem heiligen Joachim und der heiligen Anna opfern wir dieses Werk im Jahre 1538). Darauf befinden sich auch drei Bilder, die die Kreuzigung Christi, den hl. Joachim und die hl. Anna darstellen. Das ist die einzige Glocke, die laut der Schrift vom 30. August 1941 von der Beschlagnahme durch das Generalgouvernement freigegeben wurde, wovon der Fürst Erzbischof Adam Sapieha die St. Anna – Pfarrei benachrichtigt hatte. Er bemühte sich sehr, die Glocken der Krakauer Kirchen vor dem Raub zu schützen, die man zum Kaufort in der Przemysłowastraße in Krakau bis zum 8. September 1941 bringen sollte. Der Fürst Erzbischof war darum bemüht, dass mindestens eine Glocke in der Kirche blieb. Infolge dieser räuberischen Aktion alle Bemühungen, die Glocken von der Beschlagnahme zu schützen, endeten damit, dass die übrigen Glocken abgegeben werden mussten. Auf die Gesuche von dem Prälat Jan Masny, der eifrig versuchte, die Glocken zu retten, wurde stets negativ geantwortet. Es wurde sogar daran erinnert, dass die Glocken in ihrer Gesamtheit geliefert werden müssen. Man konnte sie in Einzelstücke zerlegen, wenn die Eingänge in den Glockenturm abgerissen werden müssten. Der Erzbischof Sapieha benachrichtigte die Pfarreien, dass wenn bis zum 10. September 1941 die Glocken von der Beschlagnahme nicht freigegeben werden, würde das eine Entscheidung über die endgültige Demontage bedeuten. Im Pfarrarchiv befindet sich eine Rechnung für die Demontage der Glocken vom 7. November 1941. So wurden infolge der räuberischen Aktion der Besatzungsmacht zwei Glocken von beiden Türmen der St. Anna – Kirche heruntergenommen.
Eine von den Glocken, auch von dem westlichen Turm, war genauso alt wie die jetzige, sie stammte nämlich aus dem Jahre 1541. Sie wog 700 kg, war 79 cm groß und mit dem Durchschnitt von 80 cm. Am Hals der Glocke war die Aufschrift: MISERERE MEI DEUS SECUNDUM MAGNAM MISERICORDIAM TUAM (Erbarme dich meiner, o Gott, nach Deiner großen Barmherzigkeit, Ps. 50). Beide Glocken wurden in Danzig gegossen.
Die nächste Glocke, diesmal von dem östlichen Turm, wurde schon nach der Weihe der heutigen Kirche im Jahre 1703 abgegossen. Die Glocke wog 1500 kg, war 121 cm groß und der Durchschnitt 113 cm. Die Glocke schmückte die Darstellung der Mutter Gottes mit dem Kind und den Jakobus den Älteren als Pilger. Daneben war das Bild Christi als Gärtner. Die Kartusche wurde von zwei nackten Putten unterstützt. Weiterhin wurde auf der Glocke die Jagdszene mit dem laufenden Hasen dargestellt. Die Glocke hatte auch eine sehr reiche Widmung: DOMINI MAXIMISS MARIAE VIRGINIS IMMACULATE CONCEPTAE HONORI ET S. JACOBI APOSTOLI CULTUI PERPETVO (Dem Besten und Größten Gott, für die Verehrung der Allerseligsten Unbefleckten Jungfrau Maria und dem Heiligen Jakobus Apostel für die ewige Ehre). Weiter wurden die Spender der Glocke erwähnt: Magister Adam Strykowski, Juradoktor, Apostolischer Protonotar, Kanzler in Tarnów, Probst der St. Jakobus – Kirche, sowie Magister Antoni Krzanowski, Probst der St. Florian – Kirche.
Über die dritte Glocke, die aus dem Jahre 1785 stammte, gibt es in den Chroniken wenig Informationen. Wir kennen ihre Ausmaße nicht. Es ist auch nicht bekannt, wann die Glocke verloren ging, denn dazu gibt es keine archivalischen Notizen. Man vermutet nur, dies könnte in den Jahren 1941-1945 geschehen sein. Auch die Dekoration der Glocke ist nicht bekannt. Es gibt nur das Schild mit dem Namen des Spenders. Das war der schon oben erwähnte Magister Antoni Krzanowski. Und das Datum – der 30. August 1785.
Diese einsame Glocke hat einen Begleiter, der mit derselben einträchtig zusammenarbeitet. Das ist das Carillon. Die Heimat der Carillons sind die Niederlande, wo man sie selbst in kleinen Städtchen antreffen kann. Die größten Carillons in Polen befinden sich im Turm der St. Katharina – Kirche in Danzig (49 Glocken), im Rathausturm von Danzig (36 Glocken), im Sanktuarium in Licheń (25 Glocken), in der St. Jan Kanty – Pfarrei in Chicago (25 Glocken), aber auch in der Aller Heiligen – Pfarrei in Posen, im Franziskaner – Kloster in Sanok, und in der Kathedrale von Nysa.
Die Carillons erleben derzeit eine Renaissance. Sie spielen fast alles. Sehr oft sind sie ein integraler Bestandteil der Turmuhren, sie spielen stündlich Melodien, auch liturgische Melodien, In der Technischen Hochschule in Częstochowa spielen sie Universitäts – und Weihnachtslieder. Das Carillon im Rathaus von Posen spielt stündlich das Trompetensignal der Stadt.
In Krakau gibt es zwei wahre Carillons, und zwar: in der Kirche Mutter Königin von Polen in Nowa Huta – Bieńczyce und in der St. Anna – Kirche. In anderen Kirchen sind das lediglich die Aufnahmen, die in einigen Tageszeiten gespielt werden.
Das Carillon der St. Anna – Kirche stammt aus Mailand. Das sind Glocken, die insgesamt 285 kg wiegen. Das Glockenspiel ertönt werktags um 6.58, 9.00, 12.00, 15.00, 18.00, 21.00 Uhr; sonntags um 7.00, 9.00, 11.48, 15.00, 18.00, 21.00.Uhr. Die Glocke dagegen ertönt werktags um 6.45, 12.00, 19.45 Uhr; sonntags um 7.15, 11.45, 19.15 Uhr.
Die Neuaufhängung der Glocke, ihre Inbetriebnahme und Montage wurde von der Firma Prajs aus Posen ausgeführt. Die Glockenmelodien werden je nach dem liturgischen Jahr gewechselt. Das Carillon und die Glocke werden elektronisch gesteuert. Die Glocke und das Carillon wecken ein großes Interesse, wovon die stehenbleibenden Fußgänger zeugen. Und manche Professoren in den nah gelegenen Sälen machen eine kleine Pause, um zusammen mit ihren Studenten das Glockenspiel zu hören.
Die St. Anna – Kirche lebt in dem von der Glocke vom Westturm gemessenen Zeittempo, gibt ein Zeichen von sich und lädt herzlich ein.