Johannes Paul II. und die St. Anna – Kirche

Sonntag, der 8. Juni 1997 ist auf eine ganz besondere Weise in die Geschichte der St. Anna – Kirche eingegangen.

An diesem Tag, in den Nachmittagsstunden, nach der Heiligsprechung der Königin Hedwig kam der Heilige Vater Johannes Paul II. in diese ehrenvolle akademische Kirche, um  sich vor dem Professor der Krakauer Akademie, dem hl. Johannes aus Kęty zu verbeugen und sich mit der Wissenschaft – und Kulturwelt zu treffen. Der Anlass war das 600-jähirge Jubiläum der Gründung der Theologischen Fakultät an der  Jagiellonen Universität. Der Leitgedanke der Pilgerfahrt des Heiligen Vaters nach Krakau war  die „Evangelisierung durch die Kultur”, dessen der hl. Jan aus Kęty ein Zeuge und eine hervorragende Frucht war. Es wäre schwierig, einen besseren Ort in Krakau für dieses Treffen zu finden, zumal er von dem Heiligen Vater schon seit langem ersehnt war, wovon er selber vielmals gesprochen hatte: „Ich möchte mich heute an das Grab des hl. Jan Kanty, des hl. Jan aus Kęty begeben. Es befindet sich in der Krakauer St. Anna – Kirche, die seit Jahrhunderten mit der Jagiellonen Universität – meiner Alma Mater  verbunden ist. Das ist ein schöner Sarkophag, der Reliquien eines bescheidenen Menschen birgt”.(Vatikan, 24.10.1990).

Johannes Paul II. war sehr eng mit der St. Anna – Kirche verbunden. Als Hirte der Krakauer Kirche pilgerte er oft zum Grab des hl. Jan aus Kęty. Er kam hierher, um Gottesdienste zu feiern und das Wort Gottes zu verkünden. Hier predigte er Exerzitien, beichtete und traf sich mit Studenten bei vielen Anlässen. Nicht selten kam er auch privat hierher, um dem hl. Jan aus Kęty in seinem diskreten Gebet die seelsorgerischen Angelegenheiten anzuvertrauen. In seinen Briefen an die Gläubigen knüpfte er an den Heiligen Professor und Fürsprecher an,  zeigte auf das Beispiel seines Lebens hin und munterte die Menschen, besonders die Studenten, auf,  den Patron und Fürsprecher nachzuahmen und sich mit ihm in dieser Kirche im Rahmen der Studentenseelsorge zu treffen. Als Hirte der Allgemeinen Kirche schreibt er, dass sich die Studentenseelsorge in Krakau in der St. Anna – Kirche konzentriert (s. Gabe und Geheimnis, Krakau 1996, S. 61).

Als die Autonomie der Hochschulen in Polen bedroht war, verteidigte er die Universität und mit großer Sorge ergriff er am 20. Oktober 1980 das Wort in dieser Sache und sagte: „Ich sage das hier, als ob ich jetzt in der St. Anna – Kirche in Krakau stünde, als wenn ich vom Grab des hl. Jan Kanty spräche. Von diesem Grab kommt die Botschaft über Jahrhunderte, über Generationen. Dieser heilige Professor spricht zu uns allen, zu der Kirche, aber auch zu der Nation. Diese Rede, diese Botschaft nehme ich hier auf und wie ich kann, drücke ich sie aus und überweise sie an alle Menschen an den Universitäten in ganz Polen, an Professoren und Studenten. Ich übergebe auch an alle, die für diese Universitäten, für die Studentenbildung besonders verantwortlich sind. Diese Botschaft überweise ich an die Kirche, an  die Bischofskonferenz und an alle Instanzen der Kirche, denn die Kirche war doch am Anfang aller Universitäten in ganz Europa”.

Wie der Heilige Vater sich nach einem Besuch in der St. Anna – Kirche in Krakau gesehnt hatte und wie oft er geistlich in diese Kirche pilgerte und sich mit uns im Gebet vereinte, kann eine Kerze zeugen, die er am 5. Oktober 1994 für die Kapelle unseres Patrons mit der Bitte ums Gebet überreicht hatte.  Bezeichnend sind auch die Worte, die er am 4. Januar 1996 im Vatikan an die Rektoren der polnischen Hochschulen gerichtet hatte. Am Ende seiner Rede, legte der Heilige Vater den vorbereiteten Text zur Seite und berührt sagte er: „/…/ es ist für mich schwer zu beenden, ohne mich an die Krakauer Universitätskirche St. Anna  zu wenden wo der hl. Jan Kanty, Professor der Krakauer Universität ruht. Als Priester, als Student, als Bischof und als Kardinal verbrachte ich dort viel Zeit. Und oft kehrte ich dorthin mit meinen Gedanken zurück”.

Endlich kam dieser von uns allen ersehnte Augenblick, dass Johannes Paul II. nicht mehr geistlich, sondern persönlich am Grab des hl. Jan aus Kęty in der St. Anna – Kirche in Krakau knien konnte. Das Treffen dauerte fast zwei Stunden lang. Als der Heilige Vater am Eingang der Kirche erschien, wurde er mit Beifall begrüßt, der 12 Minuten dauerte. Die vereinten Chöre:„Schola Cantorum Cracoviensis” der St. Anna – Kirche und „Psalmodia” von der Päpstlichen Theologischen Akademie sangen danach die Hymne „Gaude Mater Polonia”. Jede Pause im Gesang war mit Beifall erfüllt. Der Durchgang des Heiligen Vaters das Hauptschiff entlang, etwa 40 m lang, dauerte 42 Minuten. In dieser Zeit grüßte Johannes Paul II. fast jeden und sagte zu jedem ein paar Worte. Langsam näherte er sich dem Sarkophag  Ojciec Święty des hl. Professor Jan aus Kęty. Der Peter unserer Zeiten stand unter den Gelehrten als Gelehrter, Professor und der letzte Habilierte an der Theologischen Fakultät, die 1954 von der Jagiellonen Universität entfernt wurde.

Auf beiden Seiten standen in zwei Reihen die Rektoren der Hochschulen aus ganz Polen. Weitere Plätze nahmen andere wissenschaftliche Arbeiter ein.  Das war aber kein Hindernis bei der Begrüßung mit dem Heiligen Vater. An dem Treffen nahmen etwa 800 Personen, darunter 92 Rektoren der Hochschulen und Vertreter der Regierung und des Parlaments Polens teil.

Im Namen der Versammelten hielten die Reden Rektoren der Jagiellonen Universität, Prof. Aleksander Koj und der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau, Prof. Adam Kubiś. Prof. Aleksander Koj sagte u. a.: „Das ist ein historischer Augenblick und eine große Ehre für uns, den Heiligen Vater in der St. Anna – Kirche, am Grab des hl. Jana Kanty  am 600. Jahrestag der Entstehung der Theologischen Fakultät an der Jagiellonen Universität zu begrüßen. Johannes Paul II., Verkünder der Neuevangelisierung der Welt und gleichzeitig der würdigste Doktor honoris causa aller Fakultäten der Jagiellonen Universität kehrt in die eigene Kirche zurück, wie zu sich nach Hause. Um ihre Ehre zu erweisen, kamen die Rektoren der polnischen Hochschulen: Universitäten, Hochschulen für Technik, Medizin, Landwirtschaft, Pädagogik, Ökonomie, Kunst u.a. ekonomicznych, artystycznych i innych. Es kamen die Vertreter der Welt der Wissenschaft und Kultur von Krakau und aus ganz Polen, es kamen Vertreter der Regierung und des Parlaments der Republik Polen. Es sind anwesend alle gegenwärtigen Behörden der Krakauer Hochschulen und Mitglieder der Senate der Jagiellonen Universität und der Päpstlichen Theologischen Akademie, die hervorragende Traditionen der Theologischen Fakultät fortsetzt”.

Die Teilnehmer dieses Treffens unterstrichen, was aus ihren zugesandten Aussagen hervorgeht, seine außerordentliche Atmosphäre, den tiefen Inhalt der Botschaft des heiligen Vaters und seinen einmaligen Empfang  in der St. Anna – Kirche. Sie würdigten die Möglichkeit des direkten unmittelbaren Treffens mit dem Heiligen Vater  und des beinahe freundschaftlichen Dialogs mit ihm. Für viele war dieses Treffen die Krönung aller Begegnungen. Man unterstrich auch den Einfluss des Treffpunktes – der herrlichen, gerade erneuerten Kirche und der Tatsache, dass hier mehrere Generationen der polnischen Intelligenz gebetet hatten.  Man konnte deutlich spüren, dass die St. Anna – Kirche, die Jagiellonen Universität und die Päpstliche Theologische Akademie eine heilige Ganzheit bilden, die bis vor kurzem durch das totalitäre atheistische System geteilt, jetzt aber um die Personen des Heiligen Professors und des Heiligen Vaters vereinigt wurde.

Der Heilige Vater hielt eine Rede, die in die ganze Welt gesendet wurde. Sie umfasste seine Gedanken anlässlich des  Jubiläums der Theologischen Fakultät. Er erinnerte auch an viele verdiente Gelehrten, die mit der Hochschule verbunden waren. Er sprach auch über die   Rolle der Universität in der Kultur und in dem gesellschaftlichen Leben, dabei betonte er den Dienst an der Wahrheit als ihre Hauptberufung. Weiterhin befasste er sich mit dem Dienst des Denkens der Universitätsgelehrten und mit dem Bedürfnis der Gestaltung der ästhetischen Sensibilität, sowie sprach er  über die Bedingungen einer gesunden Entwicklung der Wissenschaft, u.a. über das integrale Konzept der menschlichen Person. Er unterstrich „Jeder Intellektuelle ungeachtet seiner Überzeugung ist dazu berufen, um sich nach einem hohen und schwierigen Ideal richtend, die Funktion eines kritischen Gewissens zu erfüllen gegenüber allem, was die Menschlichkeit  bedroht oder diese verkleinert”. Er vergaß auch nicht die  wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen sowohl die polnische Wissenschaft als auch die ganze Gesellschaft konfrontiert wurden.

Nach dem Treffen begab sich der Heilige Vater in die Sakristei, wo er sich in das Gedenkbuch eintrug und mit den in der St. Anna – Kirche arbeitenden Priestern traf. Dort empfing er von dem Pfarrer der St. Anna –  einen Altdruck  von ks. Alojzy Józefa Putanowicz u.d.T. „Leben, Wunder und Geschichte der Heiligsprechung von dem hl. Jan Kanty” herausgegeben 1780 in Krakau.

Danach begab sich der Heilige Vater zu Fuß ins Collegium Maius. Dort besichtigte er die Wohnung des hl. Jan aus Kęty und begegnete einer weiteren Gruppe der Arbeiter der Jagiellonen Universität und der Päpstlichen Theologischen Akademie.

Die Begegnung ging zu Ende, aber die Erinnerung daran ist in der St. Anna – Kirche lebendig. Die kommenden Generationen bringen diese in die Zukunft, indem diese einmalige Studentenseelsorge die Atmosphäre der St. Anna – Kirche lebt.

Zum Gedenken an dieses Ereignis vom 8. Juni 1998 wurde dank der Bemühungen der St. Anna – Pfarrgemeinde eine Gedenkmünze geprägt. An der Fassade der Kirche befindet sich dagegen eine Gedenktafel aus Bronze, die am 20. Oktober 1998 vom Kardinal Franciszek Macharski, dem Krakauer  Erzbischof eingeweiht wurde.  Sowohl die Gedenkmünze, als auch die Gedenktafel sind Werke von Prof. Czesław Dźwigaj von der Kunstakademie in  Krakau.

Anhand: Jan Samek, Universitätskirche St. Anna in Krakau 2000, S. 81-98

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